Eine besondere Herausforderung: Alleinerziehend als Migrantin
Wenn Rubeth Feria de Klinkert in einer Bäckerei Brötchen kaufen will, verzweifelt sie regelmäßig. Fast immer, wenn die gebürtige Peruanerin „Drei Brötchen bitte“ bestellt, hört sie ein verständnisloses: „Wie bitte?!“ „Ich kann dieses Wort einfach nicht aussprechen: BRÖTCHEN. Auch wenn sich die Verkäuferin doch bestimmt denken kann, was ich von ihr möchte.“
Inzwischen hat Rubeth ihre eigene Lösung gefunden, wie bei so manchen anderen Dingen des Lebens auch. „Ich bestelle in der Bäckerei jetzt einfach nur noch Semmeln. Das funktioniert.“
Die Mutter eines 14-jährigen Sohnes lebt inzwischen schon 25 Jahre in Köln. Sie kam damals aus Peru zum Studium hier her, an der Uni Bonn hat sie unter anderem Ethnologie und Religionswissenschaften studiert. Sie verliebte sich in einen deutschen Mann, heiratete und bekam einen Sohn. Als dieser sechs Jahre alt war, verstarb ihr Mann an einer schweren Krankheit. „Seitdem bin ich alleinerziehende Witwe“, sagt sie. Wenn sie ihre Lebensgeschichte anderen erzählt, erfährt sie häufig Mitleid: „Oh, du Arme.“ „Andere Alleinerziehende werden kritischer beäugt“, so ihre Erfahrung. „Da denken viele, hmm, diese Frau ist getrennt, irgendetwas muss sie wohl falsch gemacht haben.“ Fair findet Rubeth Feria de Klinkert das nicht. „Denn letztendlich sind wir doch aller in derselben Situation.“
Sie weiß, dass Getrennt- und Alleinerziehende oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Nach dem Motto: „Die hat Kinder, die ist alleinerziehend, das ist ja alles schwierig.“ Anderen Frauen rät sie deswegen: „Legt den Fokus in den Gesprächen auf eure berufliche Kompetenz. Erzählt, was ihr alles macht und gemacht habt. Sprecht nicht als erstes darüber, dass ihr Kinder habt und großartige Mütter seid.“
Zwei Fragen hört die Kölnerin immer wieder: „Und wo kommst du eigentlich her?“ Und: „Wie lange leben Sie denn schon in Deutschland?“ Der Grund ist klar: „Weil die anderen auf den ersten Blick sehen, dass ich Latina bin.“ Viel charmanter und netter findet sie allerdings die Frage: „Wo liegen eigentlich Ihre Wurzeln?“
Deutsche sind direkt
„Die Deutschen sind sehr direkt. Das ist in anderen Kulturen ganz anders.“ Rubeth erinnert sich an eine ihre ersten Kaffee-und-Kuchen-Einladungen in Deutschland. Auf die Frage: „Möchtest du Kuchen?“ lehnte sie höflich ab und sagte „nein, nein“. So war sie es gewohnt. Weil man das in Peru so macht. Da wird dann mindestens ein zweites und drittes Mal gefragt. In Deutschland nicht. Hier gilt das Prinzip: Wer nicht will, der hat schon. „Ich bekam an diesem Nachmittag also tatsächlich keinen Kuchen. Aber ich wollte doch!“ Heute reagiert Rubeth anders: Sobald sie gefragt wird: „Möchtest du Kuchen?“, ruft sie laut und deutlich „ja!“.
Um 7 ins Bett? In Peru undenkbar
Sie findet, dass Kinder in Deutschland mit sehr viel Struktur aufwachsen. „Um 7 Uhr ins Bett, das gibt es in Lateinamerika nicht. Draußen ist es doch noch hell.“ Dafür werde dort kein Kind „auf die stille Treppe“ oder zur Strafe in sein Kinderzimmer geschickt. „Das wäre in Peru Liebesentzug. Das machen wir nicht. Wir schimpfen aber dafür viel lauter und übler mit unseren Kindern, wenn sie etwas angestellt haben.“
Schulweg als Mutter-Sohn-Zeit
Und nicht immer wissen die Deutschen alles besser. Als Rubeths Sohn in die dritte Klasse kam, sagte der Lehrer: „Jetzt müssen Sie ihn aber mal endlich alleine zur Schule gehen lassen.“ „Das sah ich anders“, sagt Rubeth. Der Weg führte über mehrere befahrene Straßen und es gab kein anderes Kind, das mit ihm hätte gemeinsam gehen können. „Außerdem war der gemeinsame Schulweg unsere ganz besondere Mutter-und-Sohn-Zeit. Hier hat mir mein Sohn manche Dinge erzählt, die er mir zu Hause nicht erzählt hätte.“ Gemeinsam unterwegs sein und reden – und fast wie nebenbei eine besondere Bindung zueinander aufbauen. Auch hier hat die gebürtige Peruanerin ihren eigenen Weg gefunden. Genau wie heute in der Bäckerei.
Auch Andrea Domke weiß, dass die deutsche Sicht auf Kinder und Erziehung nicht die einzig richtige ist. Sie leitet in Köln die internationale Familienberatungsstelle der Caritas und lebt selbst in einer interkulturellen Familie, ihr Mann stammt aus Uruguay. „Alle Eltern in Deutschland haben Anspruch auf kostenlose Familienberatung. Nur wissen die das oft gar nicht“, erzählt Andrea Domke in ihrem Vortrag auf der Alleinerziehenden-Fachtagung. Nicht nur die Familienberatungstellen der Caritas, auch die der Diakonie und anderer Organisationen bieten diese Leistung kostenfrei an. Mehr Informationen gibt es zum Beispiel hier.
Die kulturelle Brille
Inzwischen hat jede zweite Person unter 18 Jahren, die in Köln lebt, hat einen Migrationshintergrund. In die internationale Familienberatungsstelle der Caritas kommen Menschen aus 90 verschiedenen Ländern. Die Beratung wird in 14 Sprachen angeboten. „In etwa der Hälfte der Fälle geht es um das Thema Trennung und Scheidung“, sagt die Diplom-Psychologin. Im Laufe ihrer jahrelangen Arbeit hat Andrea Domke gelernt, dass wir auf Kinder und Erziehung vor allem durch unsere „eigene kulturelle Brille“ gucken. Unsere kulturelle Prägung ist so etwas wie unsere innere Landkarte – und die kann bei jedem anders aussehen.
"Ei, ei, ei" ist nicht überall Standard
„Vor Ihnen liegt ein fröhliches glucksendes Baby. Was machen Sie ganz automatisch?“, fragt die Expertin in unsere Fachtagungsrunde. „Ich gehe hin und mache ei, ei ei, wie bist du süß“, antwortet eine Frau sofort. Wir alle grinsen. Denn wir hätten wohl ähnlich reagiert. „Sie nehmen Blickkontakt auf, sprechen das Baby an und beschäftigen sich mit ihm“, fasst die Expertin zusammen. Und sagt im nächsten Satz: „Mütter aus einem anderen Kulturkreis hätten ganz anders reagiert.“ Wenn zum Beispiel afrikanische Mütter aus den Augenwinkeln sehen, dass es ihrem Baby gut geht, gehen sie häufig einfach daran vorbei. Desinteresse ist das nicht, eher eine andere Form der Fürsorge. „Denn dem Baby geht es doch gut. Die Mutter braucht es jetzt nicht zu bespaßen.“ [nbsp
Doch genau dieses andere Verhalten kann zu Missverständnissen führen, wenn es dann beispielsweise von Seiten offizieller Stellen heißt: „Diese Mutter kann keine Bindung zu ihrem Kind aufbauen. Das stimmt nicht, sie macht es vielleicht nur ganz anders als wir deutschen Mütter es tun. Weil ihre kulturelle Brille eine andere ist. Auch Rubeth Feria de Klinkert findet: „Deutsche Mütter sprechen andauernd mit ihren Babys und Kindern. Das kannte ich so gar nicht.“
Wir setzen auf Individualismus
Unsere deutsche Erziehungs-Kultur legt sehr viel Wert auf die Eigen- und Selbstständigkeit des Kindes. Mütter schwärmen, wenn ihr Säugling sich längere Zeit alleine beschäftigen kann oder endlich, endlich durchschläft. Das was ein großes Ziel vieler ist, nämlich dass das Kind schon früh alleine schläft, wäre anderswo auf der Welt undenkbar. „Ein kleines Kind alleine in einem anderen Zimmer einschlafen zu lassen, würde in anderen Ländern als Kindeswohlgefährdung gelten“, weiß Andrea Domke.
Anderswo zählt die Gemeinschaft
In anderen Kulturen steht nicht wie bei uns die Individualisierung, sondern die Förderung von Gemeinschaft im Mittelpunkt. Respekt, Hierarchie und Gehorsam sind hier die wichtigsten Erziehungsziele, zum Beispiel in Afrika, aber auch in vielen islamischen Ländern. Hier zählt nicht in erster Line der Wille des Einzelnen, sondern das Wohl der Gemeinschaft. Bei uns gibt es viel Blickkontakt, in anderen Ländern dafür von Anfang an mehr Körperkontakt.
Das Fazit von Psychologin und Kultur-Expertin Andrea Domke:
- Es gibt immer gute Gründe, weshalb jemand so handelt, wie er handelt. Bei Unklarheiten lohnt sich Nachfragen
- Wenn dich etwas irritiert, sprich es direkt an. Dann kann der andere darauf eingehen
- Manche Widersprüchlichkeiten lassen sich nicht lösen – oft sind es im kulturellen Zusammenhang vor allem die Themen anderes Frauenbild und Gewalt
- Wir haben immer unsere eigene kulturelle Brille auf, mit der wir das wahrnehmen, was wir Wirklichkeit nennen
Und welche Erfahrungen hast du mit Erziehungsstilen aus anderen Ländern gemacht? Schreib es mir gerne in die Kommentare.
Christina
Foto: Inessa Podushko/pixelio.de
Einen Kommentar schreiben
Datenschutz
Ich habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen. Ich stimme zu, dass meine Angaben und Daten zur Beantwortung meiner Anfrage elektronisch erhoben und gespeichert werden.
Passende Beiträge
von Christina Rinkl (Kommentare: 0)
Wie wir das Selbstbewusstsein unserer Kinder stärken
Wir wollen, dass unsere Kinder glücklich, stark und selbstbewusst durchs Leben gehen. Das wünschen sich wohl alle Eltern für ihr Kind, aber nach einer Trennung ist dieser Wunsch von uns Müttern oder Vätern besonders stark. Cristián Gálvez ist Motivationscoach, Persönlichkeitstrainer, zweifacher Familienvater und Speaker des Jahres 2017. Der Kölner hat mir erklärt, wie Eltern mit ganz einfachen Mitteln das Selbstbewusstsein ihrer Kinder verbessern können. Seine besten Tipps habe ich hier zusammengefasst:
Weiterlesen … Wie wir das Selbstbewusstsein unserer Kinder stärken
von Christina Rinkl (Kommentare: 0)
„Zwischen Loslassen und Bewahren wollen“: Mein erstes Seminar für Alleinerziehende vom Erzbistum Köln
Die katholische Kirche unterstützt Mütter und Väter in Trennung? Vor meiner eigenen Trennung war mir nicht wirklich bewusst, dass es von der Kirche so viele Seminare und Angebote für Alleinerziehende gibt. Vor einiger Zeit habe ich das Wochenend-Seminar „Zwischen Loslassen und Bewahren wollen“ besucht, veranstaltet von der Alleinerziehendenpastoral des Kölner Erzbistums. Und so war es:
von Christina Rinkl (Kommentare: 0)
Meine Erfahrungen mit "Kinder im Blick"
Es gibt ein Seminar für getrennte Eltern, das deutschlandweit angeboten wird. Der Name "Kinder im Blick" ist bei diesem Kurs tatsächlich Programm. Es geht darum, wie man die eigenen und die Bedürfnisse des Kindes nach der Trennung im Blick behält. Ich habe das Training im letzten Herbst gemacht. Hier meine Erfahrungen.